DAS UNWETTER UND KURFUERST JOACHIM I.

Vor anderm ist merkwürdig, was sich Anno 1525 zu Berlin den 15. Juli mit Kurfürst Joachim begeben. Diesen hatte ein Astronomus feierlich gewarnt, daß an demselben Tag ein groß Wetter würde kommen, und wäre zu besorgen, beide Städte Berlin und Kölln möchten untergehen. Ist also mit seiner Gemahlin, der jungen Herrschaft und vornehmsten Bedienten auf den Tempelhofischen Berg gezogen, um die Begebenheit der beiden Städte abzuwarten. Als er aber sich lange da aufgehalten und nichts daraus worden, hat ihn seine Gemahlin, wie sie denn eine sehr gottesfürchtige und christliche Fürstin gewesen, gebeten, daß er möchte wieder hineinziehen und bei seinen armen Untertanen auswarten, was Gott tun wollte, weil sie es vielleicht nicht allein verschuldet, darüber er bewogen, und um vier Uhr gegen Abend wieder gen Kölln gefahren. Ehe er aber an das Schloß gelangt, hat sich ein Wetter bewiesen, und wie er unter das Schloßtor gekommen, dem Kurfürsten vier Pferde vor dem Wagen samt dem Kutscher erschlagen, sonst keinen Schaden mehr getan.

Quelle: J. G. T. Grässe, Sagenbuch des Preußischen Staates 1 - 2. Glogau 1868/71, Nr. 27

 

DER NAME VON KOEPENICK

Vor langen Zeiten war einmal ein alter Fischer, der in der Nähe von Köpenick seinem Gewerbe nachging und namentlich am Müggelsee seine Netze auszuwerfen pflegte. Da geschah es einst, daß er auch dort war und ein großer Krebs vom See ans Ufer geschwommen kam, ihn anredete und sagte, er wolle ihm viel Glück bringen und ihn zum reichen Manne machen, wenn er ihn aus dem Wasser nähme und nach dem ersten Orte jenseits der Spree brächte. Darauf nahm der Fischer den Krebs und ging mit ihm nach Köpenick zu, wo er uneingedenk dessen, war derselbe gesagt, ihn auf den Markt brachte, um ihn zu verkaufen. Da das Tier so groß war, fand sich auch bald ein Käufer. Aber da begann der Krebs auf einmal zu rufen: "Kööp nick! Kööp nich!" Nun gedachte der Fischer wieder der Bedingung, nahm seinen Krebs und ging weiter. Darauf setzte er über die Spree und kam nach Stralau, wo er den Krebs um vieles Geld verkaufte. Zum Andenken aber an die Worte, die der Krebs dort vor allen Leuten auf dem Markt gesprochen, wurde die Stadt Köpenick genannt, und die Stralauer zeigen noch alljährlich am Tag des großen Fischzugs, am 24. August, den großen Krebs, der von Köpenick dahin gebracht wurde.

Quelle: Kuhn, A., Schwartz, W., Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen. Leipzig 1848. Nr. 114

 

DIE WEISSE FRAU IM SCHLOSS

Auf dem Schloß zu Berlin ließ sich öfter, wie es hieß, eine weiße Frau sehen. Das ist noch so ein Stück alten Heidentums, das hier haftengeblieben, wie man anderweitig von einem solchen Spuk auf den Schlössern mancher edlen Familie zu erzählen wußte, wo die Ahnfrau derselben ebenso zu Zeiten umgehen soll. Die Geschichte ist aber besonders berühmt geworden im dem Geschlecht der Hohenzollern, wo an ihren verschiedenen Niederlassungen die sogenannte weiße Frau bald als eine Art Schutzgeist auftritt, der bei allen Familienereignissen seine Teilnahme bekundet, bald als ein unheimlicher Rachegeist, der umgeht. Gewöhnlich läßt die Sage das Gespenst in einem langen weißen Gewand und einer gleichen Haube mit hinten zurückgeschlagenem, langen Witwenschleier erscheinen. So wandelt es des Nachts zu Zeiten durch die Gänge langsamen, ernsten Schrittes; wer ihr begegnet und sie grüßt, dem dankt sie durch Neigen ihres Hauptes, spricht aber nie ein Wort.

Stehen Festlichkeiten bevor, dann hört man überall das geheimnisvolle Walten der weißen Frau. Türen springen auf und fallen wieder zu, Schlösser rasseln, und was des Geräusches mehr ist. Ist der Lärm vorüber, so strahlt alles in doppeltem Glanz zum Empfang der Gäste. Sind diese wieder fort, so wiederholt sich das Spiel, und so spät es auch in der Nacht geworden, am andern Morgen ist alles wieder in Ordnung und an Ort und Stelle, ohne daß eine Menschenhand daran gerührt.

Auch sonst sieht die weiße Frau angeblich nach dem Rechten. Ist die Dienerschaft lässig oder verabsäumt ihre Pflicht oder führt gotteslästerliche Reden oder reizt jemand sie im Übermut, dann macht sich ihr Zorn durch Schläge, Steinwürfe und Schrecknisse aller Art bemerkbar.

Besonders beweist sie aber ihre Teilnahme an allem, was die einzelnen Familienmitglieder betrifft. Oft, wenn die Ammen z. B. bei den fürstlichen Kindern eingeschlafen waren und plötzlich aufwachten, dann sahen sie die weiße Frau über die Wiege gebeugt stehen oder auf ihren Armen das Kind herumtragen und warten. Wenn ihr plötzliches Erscheinen, wie zu Zeiten, einen Todesfall verkündete, dann trug sie meist an beiden Händen schwarze Handschuhe.

Dieser Glaube nistete sich besonders in Berlin ein. Durch sie soll schon Joachim II. alle Todesfälle in seiner Familie erfahren haben. Aber erst 1598 bei dem Tod des darauffolgenden Kurfürsten, Johann Georg, fing man allgemeiner an, von der weißen Frau zu sprechen. Sie soll sich acht Tage vor seinem Hinscheiden haben sehen lassen. Und zwar sagte man, es sei der Geist der Anna Sydow, der weiland schönen Witwe des Stückgießers Dietrich, die deshalb auch "die schöne Gießerin" genannt wurde. Kurfürst Joachim II. hatte sie liebgehabt und zu hohen Ehren gebracht. Sein Sohn Johann Georg aber hatte sie bei des Vaters Tod, trotzdem er ihm versprochen hatte, sie zu schonen, nach Spandau geschickt, wo sie in lebenslänglicher Gefangenschaft verblieb und deshalb nun nach ihrem Tod umgehen soll.

Andere meinten freilich, das Gespenst stamme aus Franken und sei mit den Hohenzollern erst hier eingezogen. Es sei eine Gräfin von Orlamünde, die auf der Plassenburg saß und von leidenschaftlicher Liebe zu Albrecht dem Schönen, einem Burggrafen von Nürnberg aus dem Haus Hohenzollern, entbrannt gewesen. Sie war nämlich verwitwet und hatte zwei Kinder. Da wurde, heißt es, ihr eine Rede Albrechts des Schönen hinterbracht, daß er sie wohl heiraten würde, wenn nicht vier Augen wären. Die Gräfin glaubte, er meine damit ihre zwei Kinder: sie ständen der neuen Ehe im Weg. "Da trug sie", wie die alten Chroniken sagen, "blind von ihrer Leidenschaft, einem Dienstmann, Hayder oder Hager genannt, auf und gewann ihn mit reichen Gaben dafür, daß er die beiden Kinder umbringen möchte." Der ging auch hin, die Tat zu vollführen. Da sollen die Kinder ihm geschmeichelt und ängstlich gebeten haben:

"Lieber Hayder, laß mich leben,
Ich will Dir Orlamünden geben,
Auch Plassenburg, des neuen,
Es soll Dich nicht gereuen."


So sprach der Junge; die Tochter aber:

"Lieber Hayder, laß mich leben,
Ich will Dir alle meine Docken (Puppen) geben!"

Doch der Mörder wurde hierdurch nicht gerührt. Später, als er noch andere Bubenstücke ausgerichtet hatte und gefangen auf der Folter lag, bekannte er: Sosehr ihn der Mord des jungen Herrn reue, der in seinem Anerbieten doch schon gewußt habe, daß er Herrschaften auszuteilen gehabt, so gereue ihn noch hundertmal mehr, wenn er der unschuldigen Kinderworte des Mädchens gedenke.

Nach anderer Sage hat die Gräfin die Kinder selbst getötet, und zwar hätte sie, heißt es, Nadeln in ihre zarten Hirnschalen gesteckt. Der Burggraf hatte aber unter den vier Augen die seiner Eltern gemeint und heiratete hernach die Gräfin dennoch nicht. Diese soll später fürchterliche Buße getan haben und ihr Geist seit ihrem Tod umgehen, um so den Rest ihrer Schuld abzubüßen. Bis das geschehen, heißt es, erscheint sie den Hohenzollern, ihnen ihre Seligkeit neidend.

Andere freilich wollten nicht aus Franken, sondern von einer hohenzollernschen Prinzeß, die nach Böhmen geheiratet, den Ursprung der weißen Frau herleiten. Die erwähnte Prinzessin war an Mathes von Rosenberg auf Schloß Neuhaus in Böhmen verheiratet. "Er war", wie es heißt, "ein störrischer, wüster Gesell. Oftmals bat sie ihn, seinen Lebenswandel zu ändern. Aber es fruchtete immer nur kurze Zeit, und er verfiel bald wieder in die alte Schwelgerei, bis er sich endlich eine schwere Krankheit zuzog und erst auf dem Totenbett erkannte, wieviel besser er getan, wenn er den Lehren seines treuen Weibes gefolgt wäre." Auch sie starb bald danach; aber ihr Geist, sagt man, erscheine noch im Rosenbergschen Hause und in allen, die mit diesem durch Heirat verwandt geworden sind, um bis in alle Ewigkeit für die Seligkeit der Ihrigen zu sorgen.

Wie verschieden man aber auch den Ursprung des Spuks erzählte: daß die weiße Frau sich zu Zeiten hier in Berlin auf dem Schloß sehen ließ, das war sicher. Namentlich seit dem Tod Johann Georgs wurde das Gespräch immer allgemeiner, und man brachte, wie erwähnt, den Spuk mit der Anna Sydow, "der schönen Gießerin", in Verbindung. Auch den Tod Johann Sigismunds sollte die weiße Frau durch ihr Erscheinen vorher verkündet haben. Namentlich war dann unter dem Großen Kurfürsten öfter von ihr die Rede. So im Jahre 1659, ohne daß freilich etwas darauf erfolgte. Aber 1666 strafte sie bös einen, der ihrer gespottet hatte.

Als nämlich wieder viel Gerede von der weißen Frau war, hatte der Oberstallmeister des Großen Kurfürsten von Burgsdorf viel gehöhnt und gemeint, ihn gelüste es wohl, sie zu sehen. Wie er nun einmal aus den Gemächern des Großen Kurfürsten kommt und die Stiege hinuntergehen will, da tritt die weiße Frau ihm entgegen. Dreist redet er sie an: "Du Alte! Hast du noch nicht Blut genug getrunken; willst du noch mehr holen?"

"Da krieget sie", sagt ein alter Bericht, "ihn bei dem Hals und wirft ihn die Stiegen hinab, daß ihm sein Wams platzet und die Rippen krachen; doch ohne weiteren Schaden. Worauf der Kurfürst, das Poltern hörend und das Klagen, den Kammerpagen mit Licht sandte, um nachsehen zu lassen, was es gäbe."

Ein Jahr später - also im Jahr 1667 - behauptete Luise Henriette, des Großen Kurfürsten erste Gemahlin, sie habe, wie sie in ihr Gemach getreten, die weiße Frau an ihrem Schreibtisch sitzen sehen, und ihr bald darauf erfolgender Tod gab zur Vermehrung des Geredes von der weißen Frau Veranlassung. Die Folgezeit bürgerte den Glauben an ihr Erscheinen nur immer fester ein. 1688 wollte man sie z. B. vor dem Tod des Großen Kurfürsten wieder gesehen haben.

"Beim Schloßbau im Jahr 1709 wurde", wie Nicolai in seiner Beschreibung Berlins (1786) berichtet, "in einer Mauer ein weibliches Skelett gefunden, welches man für das der weißen Frau nahm und auf dem Domkirchhof ehrlich begrub und hoffte, sie würde nunmehr nicht wiederkommen."

Dennoch soll sie noch beim Tod König Friedrichs I. im Jahr 1713 wieder eine Rolle gespielt haben. "Als sie aber", heißt es bei Nicolai weiter, "noch einmal unter Friedrich Wilhelm I. es wagte, machte der König kurzen Prozeß, ließ das Gespenst von der Wache gefangennehmen und öffentlich in die Fiedel (an den Pranger) stellen; worauf alles Spuken unterblieben."

Erloschen war freilich das Gespräch damit noch nicht ganz. Bedeutsame Ereignisse, die ihre Schlagschatten vor sich werfen, haben gelegentlich den alten Glauben immer wieder angeregt. Und die eigentümlichen Baulichkeiten im Schloß mit den langen, im ganzen wenig erleuchteten Gängen, den vielen Treppen und Korridoren und all den weiten Räumen, was in der Stille der Nacht leicht etwas Unheimliches bekommt, tragen dazu bei, die Einbildungskraft jenem Glauben immer wieder gelegentlich einmal dienstbar zu machen. So wollte man z. B. im Jahre 1840, als ganz Berlin für das Leben König Friedrich Wilhelms III. bangte - da außer 1540 immer im Jahre 40 jedes Jahrhunderts hier ein hohenzollernscher Fürst gestorben war -, wieder verschiedentlich die weiße Frau im Schloß gesehen haben.

Hatte doch auch selbst ein Napoleon auf der althohenzollernschen Plassenburg in Franken zu Anfang dieses Jahrhunderts bei den Erzählungen von dem Erscheinen der weißen Frau sich des Grauens nicht ganz entschlagen können. Als Napoleon I. nämlich auf dem Hinweg nach Rußland dort übernachtete, soll ihm auch die weiße Frau als böses Wahrzeichen erschienen sein, obwohl andere meinten, der preußisch gesinnte Kastellan habe seine Hand dabei im Spiel gehabt. Jedenfalls war es aber doch Napoleon so unheimlich gewesen, daß bei der Flucht und Rückkehr aus Rußland, als er zufällig wieder auf der Plassenburg sein Nachtquartier nehmen sollte, so spät es auch schon am Abend war, er alles wieder aufpacken ließ und bis zum nächsten Ort weiterfuhr. Die weiße Frau hatte es ihm auch angetan!

Quelle: Schwartz, W., Sagen und alte Geschichten der Mark Brandenburg für Jung und Alt. Berlin 1871. Nr. 2

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