DES TEUFELS NASE

Zu Hall am Kocher im Schwabenlande ist ein uralt Salzwerk, wie schon des Ortes Name kundgibt, und soll es allezeit um den Salzbrunnen herum merkliche Poltergeister gegeben haben, daher man, sie zu vertreiben, viele Jahre lang stets am Dienstag nach Vocem jucundidatis (Sonntag Rogate) mit Heiltümern prozessionsweise um den Brunnen gegangen ist. Zu einer Nacht erschien der Teufel einem Salzsieder und streckte seine Nase, die außerordentlich groß war, durch einen Spalt in das Hallhaus und schnarchte dabei: Wie gefällt dir die Nas? Kann das auch ein' Nas sein? - da nahm flugs der Siedeknecht einen Kübel siedender Sole und schüttete den dem Teufel auf seine Nase, indem er rief: Kann das auch ein Spaß sein? - Zornig brach jetzt der Teufel durch die Bretterwand, erwischte den Sieder und warf ihn durch die Luft über den Kocher auf den Gänsberg (die Höhe bei dem mittleren Gerberspförtlein), dass ihm alle Rippen krachten, und rief: Kann das auch ein Wurf sein? -

Andere sagen, der Teufel habe den Siedeknecht auf den Steinbruch jenseits dem Kocher beim Haimbacher Törlein geworfen, allwo der Galgen stand, der nachgehends abgebrochen wurde, weil die daranbaumelnden Kadaver, wenn die Sonne gegen sie geschienen, in einige Häuser der Stadt ihre klunkernden Schatten geworfen, was nicht appetitlich, wenn sie über das Essen dahinglitten.

 

WIRT AM BERG

Wundersam erzählt die Sage den Ursprung des hohen königlichen Hauses Württemberg. Wie der alte Barbarossa nahe dem Kyffhäuser seine Rothenburg hatte, deren Trümmer noch steht, so war auch im Lande Schwaben ein Rothenberg, und in dessen Nähe hielt der Kaiser Hofhalt mit seiner Prinzessin und seinen Wappnern. Da geschah es, dass die Prinzessin einen Dienstmann liebgewann und er sie entführte, und harreten verborgen, bis der Kaiser hinweggezogen war, dann baueten sie sich an am Berge, wie jener Grafensohn im Lahngau, der mit einer nicht ebenbürtigen Maid eine Mißheirat eingegangen war, und wirtschafteten am Bergesfuß, und der Kaiser konnte nimmer erfahren, wohin sein Kind gekommen. Da er nun nach Jahr und Tag wieder in selbe Gegend kam, kehrte er ein bei dem Wirt am Berge, und der Tochter bebte das Herz, doch hielt sie sich unerkannt, bereitete aber des Kaisers Lieblingsspeise, die er so lange entbehrt, und die niemand weiter gerade so zu bereiten verstand wie sie. Da war es dem Rotbart weh ums Herz, und gedacht e mit neuem Schmerz der entschwundenen Tochter und meinte, sie müsse da sein, nur sie könne das Essen also bereitet haben, und rief aus: Ach, wo ist denn meine liebe Tochter? - Da sind ihm die Übeltäter aus Liebe flehend zu Füßen gefallen, dass er ihnen verzeihe, und ging es gerade wie bei Karl dem Großen und Eginhard und Emma, von denen ganz dieselbe Sage geht: der Kaiser war froh, dass er die Tochter am Leben fand, und verzieh. Schenkte dann seinem Schwiegersohn den ganzen Rothenberg, erhob ihn zu einem hohen Grafen, doch sollte er den Namen Wirt am Berg fortführen. Da erbaute der Wirt am Berg auf den Berggipfel hinauf eine stattliche Feste und ward der Urheber des württembergischen Stammes.

 

KINDERWALLFAHRT

Im Jahre 1448 hat es sich zugetragen, dass zu Schwäbisch-Hall am Donnerstage nach Pfingsten plötzlich eine Sucht die Knaben überkam, nach Sankt Michael in der Normandie zu wallfahren, und gingen ihrer über zweihundert an der Zahl wider den Willen ihrer Eltern auf einmal von dannen, denn sie wurden von dieser Sucht ganz schnell und plötzlich erregt und ließen sich nicht einmal von ihren eigenen Müttern halten, auch erfolgte bei einigen, welche mit Gewalt zurückgehalten wurden, alsbald der Tod. War wohl, wie ein alter Chronikenschreiber sagt, eine seltsame und wunderliche Begeisterung. Da sich die Knaben nicht halten ließen, so gab ihnen der für das Wohl der Stadtkinder besorgte Rat zum Geleit einen Schulmeister und einen Esel mit, damit ihnen nichts Böses zustoße. In so guter Gesellschaft mag wohl die weite Reise und Betfahrt glücklich vonstattengegangen sein. Nachderhand erfolgte eine große Pest, und war es vielleicht Gottes Hand, welche den Knaben winkte, dieser zu entgehen. Wunders genug war es, dass diese Knaben soweit außer Landes begehrten und zogen, da es doch im Schwaben- wie im benachbarten Franken- und Bayernlande der berühmtesten Wallfahrtsorte eine übergroße Menge gab.

 

UNSERE FRAU ZU DEN NESSELN

Zu den mancherlei Wallfahrten, die es schon in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts im Schwabenlande gab, entstanden in demselben Jahrhundert auch noch viele neue. Im Jahre 1484 ging eine Bäuerin ihres Weges von Heilbronn gen Weinsberg, da sah sie unweit des Stadtgrabens einen Bildstock mit Unser Frauen Bilde stehen, der war ganz und gar mit Nesseln und anderem Unkraut überwuchert, davon ward sie bewegt und sprach: O du reine Jungfrau Maria! Komm, ich will dein schön andächtig Vesperbild mit mir heim in mein Dorf tragen, da soll es ehrlich gehalten werden - und wollte das Marienbild vom Stocke heben, aber da sprach das Bild: Frau, ich will in diesem Nesselbusch bleiben, denn an diesem Ort wird Gott Wunder tun. - Über diese Stimme erschrak die Frau zum Tode und fiel in Ohnmacht. So fand sie ihr Mann, der nach ihr des Weges kam, da er sich in etwas versäumt, bewusstlos liegen, sprach ihr zu und richtete sie auf, und da sie wieder zu sich kam, erzählte sie ihm alles. Darauf breiteten beide allenthalben aus, was der Frau begegnet war, und wurde ein großer Zulauf zu dem Vesperbilde, und wurden ihm Opfer dargetragen an Geld, Wachs, silbernem und goldenem Geschmeid, Kleinode, Kleider, und waren auch gleich fromme Männer zur Hand, welche diese Spenden in Empfang nahmen, erbauten ein schön lustig Kloster in die Ehre Gottes und Unsrer Frauen und gaben es den Karmelitern ein, die ließen das Mirakel durch einen der Ihren, der Doktor und Professor der Theologie war, in Druck ausgehen, und hat das Kloster und sein Wunderbild in hohem Flor gestanden bis zum Jahre 1525, da die aufrührerischen Bauern im nahen Weinsberg ihre mörderische Tat begingen, die nahmen auch das Kloster Unsre Frau zu den Nesseln ein, plünderten, zerstörten und verheerten es.

 

UNSERE FRAU ZUM HASEN

In der Kirche des Dorfes Tüngental stand auf einem Altar in einem Chörlein ein Muttergottesbild. Da geschah es, dass ein Herr von Limburg in der Gegen Hasen jagte und die Hunde einen Hasen auftrieben, der seinen Lauf schnurstracks in die Kirche nahm und mit einem Satz auf jenen Altar sprang, wo er am Gewande des Marienbildes angstvoll aufwärtsstrebte. Als der Herr von Limburg der Jagd nachfolgte, denn er hatte gesehen, wie auch seine Hunde dem Hasen nachsetzend in die Kirche gedrungen waren, fand er die Hunde vor dem Altar in ruhiger Stellung und ergriff das gehetzte Tier, das nun nicht weiterkonnte, mit der Hand, trug es auf den Kirchhof heraus, wehrte den Hunden, es zu verletzen oder ihm zu folgen, und sprach, indem er den Hasen in Freiheit setzte: Zeuch hin, lieber Has! Du hast Freiheit in der Kirche gesucht, die hast du funden, dieweil die Hunde dein Asyl geehrt, so will ich's auch nicht verletzen. - Also lief der Hase davon, und kein Hund folgte ihm. Wie nun solches unter den gemeinen Mann kam, ward ein großes Zulaufen und Wallen, und man nannte die Kirche Unsere Frau zum Hasen, und von dem Opfer, so die Waller dahin gaben, ward ein neuer Chor gebaut und ein steinern Madonnenbild errichtet, an dem ein Hase emporstrebt, zum ewigen Gedächtnis.

Es sind dazumalen der Wallfahrten immer mehr worden. Auf dem Berge der ehemaligen Burg Flügelau fand ein Hirte im Stamm einer großen hohlen Buche angesammeltes Wasser, das war zur Zeit, als die Heilbronner Wallfahrt sich auftat, und glaubte aus Einfalt, es sei in der Buche eine Wasserquelle, schrie das aus und pries das Wasser als heilsam für blöde Augen; das ward ihm gleich geglaubt, und lief das Volk in Scharen hinauf zur Buche und wollte sich seine Blindheit wegwaschen und opferte viel Geld, und da der Hirte sah, dass das Wasser zu Ende ging und keins nachquoll, so tat er wie Sankt Mattheis nach dem Sprichwort:

Sankt Mattheis
Bricht das Eis.
Findt er keins,
So macht er eins



er sorgte täglich für frisches Wasser und stärkte statt der Augen die Verblendung, und siehe, es konnte bald von den zahlreichen Opfergaben eine herrliche Kirche erbaut werden und mit schönen Ornaten versehen, ja ein Pfründhaus und auch ein Wirtshaus, und ward eine Pfründe gestiftet, alles von dem Regenwasser im alten Buchenstock, und ward dieser selbigen Wallfahrt nachgesagt, wann der Wirt der Gäste an manchem Feiertag allzu viele gehabt und die Zechleute nicht alle in seiner Behausung unterbringen können, habe er sie in die Kirche gesetzt, und sei die Kirche zur Taverne geworden. Als aber die Reformation kam, hat Markgraf Georg von Brandenburg die Wallfahrt abgestellt.

Wieder eine andere Wallfahrt entstand 1472 auf dem Einkorn, fast gleichzeitig mit jener zur Buche auf dem Burgberg, zu einer Eiche, ungefähr eine halbe Meile hinter Comburg, dem berühmten Stift, im Rischacher Tale, wo sich der Fußpfad auf Oberrischach und Herzelbach scheidet. Da fand ein Schuhmacher, Siegmund Weinbrenner, in einem Bildhäuslein ein bleiern Amulett, wie man es den Wallern zu Vierzehnheiligen im Frankenlande gab, und verkündete dem Volke, dass er eine Erscheinung gehabt: es wollten an diesem Ort die vierzehn heiligen Nothelfer verehrt sein. Da wurde ein großer Zulauf, besonders zur Sommerzeit, weil Hall nahe lag, mit Speisesäcken und Flaschen, mehr großen Mahles als Wallens wegen; dennoch wurde eine bretterne Kapelle errichtet und darin Messe gelesen an tragbaren Altären. Weil aber über den Ortesbesitz zwischen Comburg und Limburg sich Streit erhob, zerging bald wieder Wallfahrt und Kapelle.

 

DIE DREI SELTSAMEN HEILIGEN

Die vierzehn Nothelfer hatten einen dauerbaren Altar in der Wallfahrtskirche zu Enslingen, darin waren noch zwei andere Altäre, einer in die Ehre Sankt Guntheri Vistoris, der andere dem heiligen Quirin geweiht. Den Bauern waren diese Heiligennamen schwer zu merken und zu nennen, sie nannten sie Sankt Gunter, Victer und Quitter, und die noch gröberen Verstandes waren, nannten sie die drei wunderlichen oder seltsamen Heiligen. Da nun 1497 eine Wallfahrt nach Enslingen entstand, fanden die Waller auf den Altären keine andere Bilderzier als drei kleine weiße Alabasterbildlein, dagegen eine große Tafel mit dem Bilde der vierzehn Nothelfer, und da achteten sie der ungeschmückten Altäre nicht, sondern opferten den vierzehn Nothelfern. Also wurden die drei seltsamen Heiligen unter die Bank geschoben und ihrer vergessen; nur im Sprichwort leben sie noch fort, da man von einem, dessen Handlungsweise man sich so wenig klarmachen kann, als das Volk über jene Bilder sich klar war, zu sagen pflegt: Das ist ein wunderliche r oder ein seltsamer Heiliger. Nach der bäuerlichen Empörung ward auch die Enslinger Wallfahrtskirche geschlossen und niemand mehr eingelassen. So erging es auch mit der berühmten Wallfahrt auf dem Wurmlinger Berge und andern mehr.

 

REGISWINDIS

Zwei Stunden von Heilbronn neckaraufwärts liegt die Stadt Lauffen, mit einem vormals berühmten Kloster. Der Name soll dem raschen Laufe des vorbeiströmenden Neckars entnommen sein. Im Jahr 814 empfing ein tapferer Ritter aus dem Nordgau des Namens Ernst den Grund und Boden zum Geschenk und gewann von seiner Gemahlin Frideburg ein Töchterlein, welchem man den Namen Regiswindis gab. Das Kind erhielt eine Amme, welche die Schwester eines der Dienstmannen des Ritters Ernst war, und das Unglück wollte, dass dieser Knecht einst wegen übler Aufführung von seinem Herrn sehr hart behandelt wurde. Da er nun seiner Schwester sein Leid klagte, wurde diese so von Zorn bewegt, dass sie an dem unschuldigen Kinde, ihrem Säugling, Rache zu nehmen beschloss, und die Gelegenheit wahrnehmend, dass ihre Herrschaft einen Ausflug machte, drehte sie dem Kinde das Hälschen um und warf es in den Neckar. Der Strom trug aber die kleine Regiswindis nicht von dannen, sondern setzte sie auf einem nahen Werder ab, und so wurde die Untat schnell l offenbar; Ritter Ernst ließ die Amme in einen Turm am Neckar einmauern und darin verhungern, und der Papst sprach das ermordete Kind heilig. Der kleinsten aller Heiligen zu Ehren wurde nun eine Kirche erbaut, zu der so viele Wallfahrten geschahen, dass man sie Heiligreich oder Kirchreich nannte. Darin war der silberne Sarg der Regiswindis hinter dem Altar in einem schönen Kenotaph aufgestellt und der Jahrtag der kleinen Heiligen am 15. Juli begangen, und es kam die Sitte auf, zur Erinnerung an jenes treulose Gesinde, an diesem Tage das Gesinde zu wechseln.

 

WASSER UND HOLZFRAUEN

Zu eines Herren von Hohenstein Schloss kamen zur Fastnachtfeier einige lustige Edelfrauen, die stellten nach dem Nachtmahl eine Mummerei an, gingen hinüber in das Schloss Neuenbronn über der Bieber, tanzten daselbst und gingen dann hinab zur Mühle unter dem Schloss in das Haus, wo die Bauernmädchen ihre Fastnacht hielten, willens, sich in deren Tanz zu mischen. Da aber die Bauernmaidlein selbige verputzte Weiber mit spitzen Kapuzenhüllen erblickten, rannten sie mit Geschrei aus der Stube, und jene gingen ganz still wieder nach Schloss Hohenstein. Am andern Morgen war ein lautes Geschrei im Dorfe, dass Wasserfrauen aus der Bieber zu der Maidlein Tanz gekommen, und da letztere aus der Stube geflohen, seien jene wieder an die Bieber gegangen, mit einem Plumpser unter das Wasser gefallen, dass man es platschen gehört, und unterm Wasser verschwunden. Davon behielt der Tümpfel bei der Mühle den Namen Wasserfrauenstube bis auf den heutigen Tag.

Ebenmäßig hatten vorzeiten die Herren von Weinsberg das Gejäg auf dem Holz bei Winzenweiler nicht fern vom Städtlein Deildorf; da nun diese Weinsberger einmal an dem Ort eine Schweinehatz gehalten, nahmen sie ihre Frauenzimmer mit und entzündeten in einem Erdfall ein Feuer, um welches sich die Frauen der Wärme halber lagerten. Da kamen von ungefähr zwei Hofbauern, die auf einsamen Höfen wohnten, durch den Wald, sahen die Frauen in ihren Bünden und in der von den Bauern nie gesehenen Tracht, waren zum Tod erschrocken, schlichen sich ängstlich abseits und brachten bei ihren Leuten das Geschrei aus, dass sie Waldfrauen erblickt. So stark war beim Volke der feste Glaube an die deutschmythische Dämonenwelt. Und heißt jener Ort, der samt dem Holze später an das Stift Comburg kam, noch bis heute die Holzfrauenstube.

 

WIE DREI WARME QUELLEN ENTSTANDEN

Ein junger Mann kam auf einer Schwarzwaldwanderung auch zum Mummelsee. Am Ufer sah er ein Seeweible, das bald zu ihm hinkam. Von ihrer Schönheit bezaubert, blieb er mehrere Stunden bei ihr. Bei seinem Abschied gab sie ihm drei scheinbar wertlose Steine, die sie vom Grunde des Sees heraufgeholt hatte. Er nahm sie zu sich, warf sie aber später nach und nach gleichgültig weg. Überall nun, wo einer dieser Steine hinfiel, sprudelte eine warme Quelle hervor, und zwar die erste an der Stelle des Erlenbades, die zweite in Hub und die dritte in Baden-Baden.

 

DER MANN IM MOND

Bei Vollmond kann man dunkle Flecken sehen. Das ist ein Mann, der in den Mond verwünscht worden ist. Er hatte an einem Sonntag im Wald Besenreiser gestohlen und auf dem Rücken heimgetragen. Da begegnete ihm aber im Wald ein Mann und das war der liebe Gott. Der stellte den Mann zur Rede, dass er den Sonntag nicht heilige, und sagte zu ihm:

"Ich muss dich dafür bestrafen. Du darfst dir die Strafe aber selbst auswählen. Willst du in den Mond oder in die Sonne verwünscht werden?"

Darauf sagte der Mann: "Wenn es denn sein muss, so will ich lieber im Mond erfrieren als in der Sonne verbrennen."



WEISSE UND SCHWARZE ERDMAENNLE

In Ebhausen, zwischen Nagold und Altensteig, gab es früher Erdmännle, die sahen schneeweiß aus. Sie arbeiteten in der Nacht für die Menschen, mahlten das Korn, backten das Brot, fütterten das Vieh und dergleichen. In Nagold hat man diese kleinen Leute "Zwergle" genannt und erzählt, dass sie teils die Menschen sehr quälten, teils im Haus wie auf dem Feld jede Arbeit für sie verrichteten.

Zum Lammwirt in Neubulach kamen bei Nacht immer zwei Erdmännle oder Bergmännle und backten ihm das Brot. Er brauchte abends nur das Mehl hinzustellen, so war am andern Morgen das Brot fertig. Einmal belauschte er sie bei ihrer Arbeit und sah, dass sie ganz nackt waren und große Augen hatten. Ihre Hautfarbe war schwarz wie die eines Mohren. Dem Lammwirt tat dies Leid, dass sie so nackt waren, und er ließ zwei Kleider für die Erdmännle machen und legte sie ihnen auf die Backmulde. Am folgenden Morgen waren die Kleider zwar fort, aber die Erdmännle auch und sie kamen nie wieder. Er hatte sie ausgezahlt, was sie nicht leiden konnten; denn sie wollten ihre Dienste umsonst tun.

 

DIE KUEMMERNISBILDER

Zu Lauingen geht auch die Sage von der frommen Jungfrau Kümmernis, die so vielfach in deutschen Landen begegnet, und deren Bilder zu Wien, zu Ettersdorf bei Erlangen, zu Saalfeld und an vielen andern Orten gefunden werden, vornehmlich auch zu Gmünd in Schwaben, wo aber Maria, oder nach andern die heilige Cäcilia, die Schuhspenderin gewesen sein soll. Zu Lauingen und dessen Umgebung ward nun geglaubt, wer nur ein Bild der Jungfrau Kümmernis bei sich trage und sich ihr verlobe, dem werde also aus seiner Not geholfen, wie sie dem armen Spielmann half, und zweimal wird noch immer all dort ihr gekreuzigt Bildnis in Kirchen gefunden. Am Wege von Dillingen nach Steinheim steht ein Kapellchen, Sankt Leonhard geweiht, das barg der Kümmernisbilder viele, die als Gelübde hier dankbar geopfert waren. Das erfuhr ein Bischof zu Augsburg und verdroß ihn, denn es steht keine Kümmernis im römischen Heiligenkalender, und das deutsche Volk soll nichts Eignes haben, und befahl, die Bilder alle abzureißen und zu verbrennen. Als d as die Bauern in der Gegend hörten, liefen sie eilend nach Sankt Leonhard und holten ihre Votivbilder wieder von der Wand, um sie dem Feuer zu entreißen und ihnen bessern Platz zu gönnen. Hernachmals ist aus der Kapelle gar ein Pulvermagazin gemacht worden, und da haben die Bauern gesagt: Seht ihr wohl! Sankt Leonhard kann sein Haus nicht schützen! Sankt Kümmernis hätte das nicht gelitten. Selbst in der altberühmten Kirche zu San Marco zu Venedig ist ein Kümmernisbild zu erschauen.

 

DIE SCHLANGE UND DAS KIND

In Schwandorf bei Nagold gab eine Mutter ihrem Kinde, sooft sie ins Feld musste, einen ganzen Hafen voll Milch und ließ das Kind damit allein im Garten. Da verwunderte sich die Mutter, wenn sie vom Feld heimkam, dass die Milch jedes Mal rein aufgegessen war, wie groß der Hafen auch sein mochte. Das Kind sagte, es käme immer ein Vöglein und esse mit.

So passte die Mutter eines Tages auf und sah, dass eine Schlange aus der Gartenmauer herauskroch und mitaß. Sooft das Kind einen Löffel voll genommen hatte, steckte die Schlange ihren Kopf in den Hafen und trank und so ging das fort, eins ums andere. Dabei wurde die Schlange nicht böse, als das Kind sie mit dem Löffel auf den Kopf schlug und sagte: "Iss et no Ilch, iss au Ickle!" (Iss nicht nur Milch, iss auch Bröckchen.)

Nach dem Essen legte sich die Schlange dem Kind in den Schoß und spielte mit ihm. Als die Mutter nun sah, dass die Schlange dem Kind nichts zuleide tat, ließ sie sie gewähren und gab ihr auch später, als das Kind schon erwachsen war, noch lange Zeit allein täglich ihre Milch.

 

DAS BLEICHEBRUECKLE ZWISCHEN LOEFFINGEN UND ROETENBACH

 

Wenn man die Straße zwischen Rötenbach und Löffingen geht, muß man über ein Brücklein. In der Nähe steht ein Haus, die "Bleiche" genannt, weil in den Wiesen ringsum einst Wäsche gebleicht wurde. Daher hat das Brücklein seinen Namen. Wer abends nach Betzeitläuten darübergeht, kann übles erleben: ein großer schwarzer Hund kommt unter dem Brücklein vor und springt ständig um den Wanderer herum, so dass dieser nicht weiterschreiten kann. Es ist schon vorgekommen, dass Rötenbacher, die abends in Löffingen lange aufgehalten wurden, dann erst gegen Morgen nach Hause kamen.

 

DAS GALGENBRUENNELE VON GEISSLINGEN

 

In Geißlingen an der Steig sollte einst ein zum Tod Verurteilter zum Galgen geführt werden. Als der Zug am Richtplatz angekommen war, bat der arme Sünder die Richter, noch einmal zum Volke sprechen zu dürfen. Man gestattete ihm die Bitte. Da versicherte er zum letzten Male seine Unschuld vor allem Volk. "Zum Zeichen dessen wird eine Quelle aus diesem Felsen springen, sobald meine schuldlose Seele in den Himmel eingegangen ist." Kaum hatte der Henker das Urteil vollzogen, da rieselte aus dem Felsen unter dem Galgen ein Brünnlein hervor. Das Volk war erschüttert über dieses wunderbare Zeugnis von der Unschuld des Gerichteten, der Richter aber rief: "Herr, richte mich nicht, wie ich gerichtet habe!" Noch heute läuft ein klares Bächlein vom Galgenberg bei Geißlingen ins Tal, das "Galgenbrünnele".

DAS HORNBERGER SCHIESSEN

 

Das kleine Dorf Hornberg im Schwarzwald wollte einstmals ein großes Schießen halten, machte gewaltige Zurüstungen und lud alle Welt zu diesem Fest ein. Die Hornberger hatten wirklich auch für alles, was bei einem solchen Schießen erforderlich ist, wohl gesorgt. Nur eins hatten. sie vergessen, das Pulver. Daher sagt, man, wenn eine mit viel Lärm angekündigte Unternehmung leer und erfolglos endet: "Das geht aus wie's Hornberger Schießen!"

 

DAS ROCKENWEIBLEIN BEI SCHLOSS EBERSTEIN IM SCHWARZWALD

 

Die hohe Felsenwand im Rücken des Schlosses Eberstein im Murgtale heißt der "Rockenfels". Darin wohnte vorzeiten in einer unterirdischen Kammer ein Bergweiblein. Es war nicht mehr jung, auch nicht schön, aber über die Maßen freundlich und dienstfertig. Oft besuchte es abends die Spinnstuben in der Gegend und erzählte den neugierig Lauschenden seltsame Geschichten, heitere und schaurige. Wo die Alte weilte, ging die Arbeit gut voran. Der Burgvogt, der damals auf Eberstein lebte, war ein harter und finsterer Mann. Täglich zwang er die Mägde bis in die tiefe Nacht hinein zur Arbeit und gönnte ihnen nur wenig Brot und Ruhe. Unter ihnen war auch eine junge, schmucke Dirne namens Klara, ein sehr frommes und ehrbares Kind. Der Schloßgärtner hatte schon längst die Absicht, sie zu seiner Frau zu machen, und auch die Jungfrau hatte ihm ihre Zuneigung geschenkt. Weil sie aber eine Leibeigene von Eberstein war, durfte sie ohne des Vogts Einwilligung nicht heiraten. Dieser aber wusste jedes Mal, wenn ihn das Paar um seine Zustimmung bat, eine andere Ausrede, um ihr Glück zu verzögern. Eines Tages, als die arme Magd wieder flehend in ihn drang, nahm er sie ans Fenster und sagte höhnisch, indem er nach dem nahen Friedhof im Tale deutete: "Siehst du dort jenes grünbewachsene Grab neben dem großen Grabstein?" Klara seufzte, helle Tränen liefen ihr über die blühenden Wangen: "Ach, das ist ja das Grab meiner armen Eltern." "Die Nesseln gedeihen prächtig auf diesem Grabe!" fuhr der Vogt lachend fort. "Es ist davon ganz überwuchert! Nun höre mich an! Ich habe mir sagen lassen, man könne aus diesem Unkraut einen überaus zarten Faden spinnen, und darum mache ich dir jetzt einen Vorschlag: du sollst mir aus jenen Nesseln ein Stück Leinwand verfertigen, das gerade für zwei Hemden reicht, aber nicht größer und nicht kleiner! Das eine wird dann dein Brauthemd sein, in dem andern soll man mich einst begraben." Nach diesen Worten ging der Vogt, boshaft kichernd, seiner Wege. Das arme Mädchen stand voll Bestürzung da und wusste weder Rat noch Trost. In der Trauer ihres Herzens eilte sie dann hinunter zu dem Grabe ihrer Eltern und weinte. Da stand plötzlich das Bergweiblein neben ihr und fragte nach der Ursache ihres Grams. Als Klärchen der alten Frau alles erzählt hatte, verfinsterte sich das sonst so gutmütige Gesicht des Weibleins, und es sagte: "Sei nur ruhig und getrost, es soll dir schon geholfen werden!" Sprach's und riss einen Arm voll Nesseln vom Grabhügel und verschwand. Klara ging mit erleichtertem Herzen zur Ruhe. Kurze Zeit nachher jagte der Vogt in dem Forst über der Murg und kam zufällig auch an den Rockenfels. Dort saß das Bergweiblein am Eingang seiner Höhle und schnellte recht wacker die zierliche Spindel. "Du spinnst dir wohl ein Brauthemd, du graue Schönheit?" lachte der Vogt. "Ein Brauthemd und ein Totenhemd, Herr Vogt", versetzte das Mütterchen. "Du hast da einen gar schönen Flachs, der ist gewiss von irgendwo gestohlen?" "Mit nichten, dort drunten ist er gewachsen auf einem armen Bauerngrab." Den Vogt überlief es kalt. Die Jagd war ihm verleidet, er kehrte sogleich nach Eberstein zurück, mit sich selbst im Kampf, ob er die Zustimmung zu Klärchens Heirat geben solle oder nicht. So vergingen einige Tage, ohne dass er zu einem festen Entschluss gelangen konnte. Als er eines Abends eben beim vollen Humpen im Rittersaal seine ängstlichen Gedanken niederzutrinken suchte, erschien Klara, zwei schöne Hemden auf dem Arm tragend. "Herr Vogt", sagte sie, "Eurem Verlangen ist nun entsprochen. Hier sind die zwei Hemden aus den Nesseln von dem Grabe meiner Eltern; das eine für Euch, das andere für mich. Jetzt haltet aber auch Euer gegebenes Wort!" "Das will ich, gewiss, das will ich", stotterte der Vogt, dem es ganz unheimlich zumute war, "morgen soll deine Hochzeit sein!" In der Tat gab er auch sogleich dem Schloßgärtner die Erlaubnis zur Trauung und versprach, er werde sich selbst dem Ehrengeleit in die Kirche anschließen. Doch während am folgenden Morgen das junge Paar glücklich am Altar stand, lag der Burgvogt auf der Bahre, mit dem Leichenhemd aus Nesseln angetan. Die Strafe des Himmels hatte den Sünder unmittelbar später ereilt.

 

DAS SCHRAETTELE VON OBERSDORF IM ALLGAEU

 

In Obersdorf im Allgäu lebte einst ein Bursche, der des Nachts oft von einem Schratt geplagt wurde. Obgleich er am Abend seine Kammer gut verschloss und selbst das Schlüsselloch zustopfte, kam der Schratt doch immer wieder. Da suchte der Junge die Kammerwand ab und fand in einem Brett ein kleines Astloch. Als nun der Schratt bei Nacht wieder kam, steckte der Jüngling einen Zapfen in das Astloch, damit der Schratt gefangen sei und nicht mehr hinaus könne. Gleichzeitig warf er ein Kissen auf den Boden. Am andern Morgen saß ein schönes Mädchen auf dem Kissen. Sie wusste nicht, wer sie sei und woher sie komme. Da sie aber einen guten Eindruck machte, behielt man sie als Magd im Haus. Sie war stets fleißig und brav, und darum gefiel sie den Leuten gut, vor allem dem Sohn. Der nahm sie bald zu seiner Frau. Beide lebten lange Zeit glücklich miteinander, wenn auch das junge Weib wie an einem heimlichen Gram litt. Da fragte sie ihr Mann eines Tages, warum sie denn so traurig sei. Die Frau antwortete: "Wenn ich nur wüsste, wer ich bin, woher ich stamme und wie ich in dieses Haus gekommen bin." Nun führte sie der Mann in die Kammer, zeigte ihr das Astloch und zog das Zäpflein heraus mit den Worten: "Sieh, da bist du hereingekommen." Kaum hatte das Weib diese Worte gehört, da fuhr es durch das Astloch hinaus, und das Schrättele kehrte niemals wieder.

 

DAS HOCHMUETIGE SCHLOSSFRAEULEIN VON STEINEN

 

In dem Schlößlein zu Steinen im Wiesental wohnten vor grauen Zeiten die Zwingherren der Gegend. Die Tochter des einen von ihnen fühlte sich so sehr über alles Irdische erhaben, dass sie nicht auf der bloßen Erde in die Kirche gehen wollte; sie ließ sich stets vom Schlößlein bis zum Kirchhof, ja über den Kirchhof selbst bis zum Gotteshaus einen Dielenweg legen, der mit Tuch und Taft bedeckt werden musste. Aber ihr blieb das Los der Sterblichen nicht erspart: eines Tages wurde sie vom Tode dahingerafft. Nachdem sie gestorben und mit großem Prunk beerdigt war, stand der Sarg am nächsten Morgen außen an der Kirchhofmauer und ebenso die zwei folgenden Tage, obwohl man ihn jedes Mal wieder auf dem Gottesacker in die Erde bestattet hatte. Man lud nun den Sarg auf einen zweirädrigen Wagen, spannte zwei junge schwarze Stiere davor, die noch kein Joch getragen hatten, und ließ sie laufen, wohin sie wollten. Stracks gingen die Tiere auf den Häfnetbuck, wo sie im unwegsamen Wald an einer Quelle stehenblieben. Hier nun verscharrte man den Sarg. Jetzt endlich blieb er auch im Boden. Das Fräulein aber findet keine Ruhe im Grab, und die Quelle heißt ihretwegen Junglernbrunnen. Bei Sonnenaufgang kommt es zum Brunnen, um sich zu waschen und zu kämmen. Aber auch Vorübergehende, die schmutzig und ungekämmt waren, hat das Fräulein schon gewaltsam in den Brunnen gezogen und dort mit derben Strichen gekämmt. Beim Schlößlein zeigte es sich bisweilen, wie die Sage erzählt, und pflegt dort im Bach ihr Weißzeug zu waschen

 

DAS KOPFLOSE WEIBLEIN ZU MUENSINGEN

 

Auf dem Wege zwischen Münsingen und Bonndorf ist es nicht geheuer. Dort kann man zuzeiten ein unheimliches Wesen herumgeistern sehen. Es ist das kopflose Weiblein, das den Kopf unter dem Arm trägt. Es tut niemandem etwas zuleid und geht ruhig neben den Leuten her. Will man sich aber die Gestalt vom Leibe schaffen oder das Weiblein misshandeln, dann springt es auf die Achseln des Wanderers, packt den Unglücklichen und führt ihn irre. Bei der Kapelle, zugleich dem Markstein zwischen Bonndorf und Münsingen, verschwindet das gespenstische Wesen. Das Weiblein soll zu Lebzeiten ihren Mann umgebracht haben, um einen andern zu heiraten. Weil ihr der Kopf heruntergehörte, muss sie zur Strafe für ihre Missetat mit dem Kopf unterm Arm als Geist umherwandern, bis ein Jüngling, der am Walpurgistag nachts um zwölf geboren wurde, sie an seinem zwanzigsten Geburtstag erlöst. So geht die Sage.

 

DER GEISTERBAUM VON ALTDORF

 

In Altdorf bei Ettenheim stand vor vielen Jahren ein großer Bauernhof, in dem niemand wohnen wollte, da Geister darin ihr Unwesen trieben. Der Hof wurde an einen jungen Mann verkauft, der in der Gegend fremd war und von der Geisterplage nichts wusste. Als er dann dahinter kam, welch ungebetene Gäste sein neues Heim beherberge, wandte er alle erdenklichen Mittel an, um die tobenden Geister zu verjagen - doch vergebens. Endlich entschloss er sich, nach Rom zum Papst zu pilgern, um ihm seine Not zu klagen. Der Heilige Vater gab ihm einen Stock und sprach zu ihm: "Auf diesen Stock gestützt, musst du die Heimreise antreten. Zu Hause aber musst du ihn in die Erde stecken." Der Bauer tat wie ihm befohlen ward. In kurzer Zeit wuchs der Stock zu einem mächtigen Baum heran, und von nun an war im Hause Ruhe. Nach einiger Zeit wurde der Hof verkauft, der Baum aber wurde umgehauen. Von diesem Augenblick an regten sich die Geister wieder. Doch dauerte die Plage nur kurze Zeit; denn der Baum schlug bald wieder aus und bannte die Geister abermals in seinen Stamm.

 

DER HAALGEIST VON SCHWAEBISCH HALL

 

In Schwäbisch-Hall am Salzbrunnen oder "Haal" trieb einst der Haalgeist sein Wesen. Er zeigte sich immer drei bis vier Tage vor einer Überschwemmung, trug eine Laterne in der Hand, schritt vom Kocher auf die untere Stadt zu und rief mit lauter Stimme : "Raumt aus! Raumt aus!" So weit aber, als der Geist in die Stadt hineinschritt, soweit trat jedes Mal in den nächsten Tagen der Kocher über seine Ufer. Der Haalgeist tat niemandem etwas zuleid, wenn man ihm keine Beachtung schenkte. Sobald ihn aber jemand aus Neugier oder Mutwillen anrief, erschien er ihm sogleich in einer schrecklichen Gestalt: als schwarzer Pudel oder als zottiges Kalb mit fenstergroßen, feurigen Augen, so dass den Vorwitzigen Angst und Entsetzen packten. Ganz schlimm erging es einem Salzsieder, der es gewagt hatte, ihn zu necken. Als dieser einmal bei Nacht noch an der Arbeit war, steckte der Haalgeist seine gewaltige lange Nase durch einen Spalt in der Wand des Siedehauses und fragte: "Ist dees nit e Noos?" Der Sieder, nicht faul, füllte rasch ein Gefäß mit siedendem Wasser, goß es dem Haalgeist auf die Nase und rief: "Ist dees nit e Guuß?" Ehe er sich's aber versah, hatte ihn der Haalgeist gepackt und über den Kocher hinüber auf den Gänsberg geworfen und dabei höhnisch geschrien: "Ist dees nit e Wuurf?" Das alte Hall, in dem sich dieser Vorfall ereignet hat, heißt seitdem "das Geisterhall".

 

DER MUELLER VON GOETTELFINGEN

 

Der Müller von Göttelfingen im Schwarzwald hatte bei Lebzeiten viele Leute ums Korn betrogen. Zur Strafe dafür wurde ihm die ewige Ruhe im Grabe versagt, er musste Nacht für Nacht in der Mühle umhergeistern. Während seiner Beerdigung hatte er mit der Zipfelmütze auf dem Kopf und der Pfeife im Mund aus dem Fenster geblickt und seinem Sarg nachgesehen. Später sah man ihn rauchend hinter dem Ofen sitzen. Um ihn loszuwerden, holten die Leute einen Kapuziner, der ihn bannen sollte. Dieser zog mit Wasser um die in der Stube Anwesenden einen Kreis. Plötzlich hörte man Wagengerassel das Tal herauf und Männerschritte auf der Stiege. Dann erschien der Geist als Pudel. Der Kapuziner wies ihn zur Tür hinaus und befahl ihm, er solle in kleinerer Gestalt wiederkommen. Nun spazierte der Geist als Rabe bei der Tür herein, und schließlich auf des Kapuziners erneuten Befehl verwandelte er sich in einen Käfer. Auf diese Weise konnte der Mönch den Geist in eine Schachtel bannen und forttragen. Der Geist flehte, man möge ihn wenigstens an eine Stelle bringen, von wo aus er die Mühle sehen könne. Darum steckte ihn der Kapuziner unter einen Felsen in der nahen Schlucht. Später brach man aus diesem Felsen Steine, wodurch der Geist wieder frei wurde. Nunmehr spukte er aufs Neue in der Mühle, bis ihn der Kapuziner endgültig hinausbannte. Seit dieser Zeit, so erzähle die Sage, fand der Müller von Göttelfingen Ruhe in seiner Grabstätte.

 

DIE DREI JUNGFRAUEN VOM MUMMELSEE BEI SEEBACH

 

Nahe beim Mummelsee liegt das Schwarzwalddorf Seebach. Dort kamen, wie es an vielen Orten üblich war, an Winterabenden die Mädchen und Burschen des Dorfes in der Spinnstube zusammen. Eines Abends traten drei wunderschöne, weiß gekleidete Jungfrauen in die Spinnstube. Sie hatten hübsche Spinnräder bei sich und baten, mitspinnen zu dürfen. Man hieß sie freundlich willkommen. Die fremden Mädchen trugen durch fröhliches Plaudern viel zur Unterhaltung bei. Doch früher als die Spinnerinnen aus dem Dorf machten sie sich wieder auf den Heimweg. Das bedauerten alle Burschen und Mädchen aus Seebach, am meisten der Sohn eines reichen Bauern, der sich in eine der fremden Jungfrauen verliebt hatte. Man bat die Mädchen, bald wieder zu kommen. Das taten sie auch. Der verliebte Bursche hatte dann zur Vorsorge die Stubenuhr um eine Stunde zurückgestellt, damit die Mädchen länger bleiben sollten. Als es elf Uhr schlug, schickten sich die drei fremden Mädchen zum Aufbruch an. Unterdessen gestand ihnen der Bursche, dass er die Uhr eine Stunde zurückgestellt habe; darüber erschraken die drei Mädchen sehr. Sie schrien auf und eilten fort. Am folgenden Tage bemerkte man im Mummelsee drei große Blutflecken. Oft hörte man von nun an auch Klagen, Jammern und Murmeln aus der Tiefe herauf. Den Mädchen war offenbar auf dem Grunde des Sees ein Leid zugestoßen, weil sie erst nach Mitternacht heimgekommen waren. In der Spinnstube von Seebach sah man sie nie mehr.

 

DER POPELE VON HOHENKRAEHEN

 

Eine der lieblichsten Landschaften Badens ist der Hegau. Schaut man vom Stettener Schlößle, dem Neuhewen, nach dem Bodensee zu, so stehen wie Riesen einer uralten Vergangenheit die Hegauberge in greifbarer Nähe. Vom kleinsten, aber steilsten unter ihnen, dem Hohenkrähen, weiß die Sage viel zu berichten. Dort lebte einst, es war wohl zwischen 1200 und I300 n. Chr., ein Mann namens Johannes Christoph Popelius Maier, Burgvogt einer verwitweten Freifrau von Kraien. Seine Gebeine hat man in der Pfarrkirche zu Mühlhausen bei Engen gefunden, die früher gräfliche Grabkapelle war. Aber sein Geist war jahrhundertelang unruhig, bald hilfreich, dann auch wieder boshaft umhergeirrt. Man kennt das Gespenst unter dem Namen: der Popele von Hohenkrähen. Die Hegäuer wissen verschiedene Gründe anzugeben, warum der Burgvogt nach seinem Tode umgehen musste. Er soll während seines Lebens die Leute geplagt haben und daher im Tode keine Ruhe finden. Einst sprach spätabends am Hohenkrähen ein vorbeifahrender schwäbischer Abt um eine Nachtherberge vor. Diese wurde ihm gastfreundlich gewährt. Nach dem Nachtessen zechten der Burgvogt und der Abt noch lange miteinander. Dabei tranken sie reichlich Hegäuer Wein, wurden lustig und neckten einander. Der Abt war sehr beleibt, Popelius aber klein und mager. Im Wortwechsel brüstete sich der Burgvogt mit seiner Stärke. Der Abt lachte darüber, der Burgvogt könne sich doch nicht seiner Stärke rühmen, er gleiche ja leibhaftig dem Knochenmann und könne durch ein Nadelöhr gezogen werden. Der Burgvogt, der keine Verulkung ertragen konnte, war darüber erbost, sprang von der Tafel auf und befahl, "das wohlbeleibte Pfäfflein" in das Burgverließ zu werfen und es bei Wasser und Brot so lange gefangen zu halten, bis es auch so mager geworden sei, dass man es durch ein Nadelöhr ziehen könne. Das geschah: der Abt wurde in Verwahrung genommen, bis er so mager war wie sein ungastlicher Wirt, der Burgvogt. Doch der Abt sann nach seine r Entlassung auf Rache. In seiner Klosterbibliothek fand er ein Zauberbuch. Darin waren verhängnisvolle Beschwörungsformeln aufgezeichnet. Der Abt lud einen schrecklichen Fluch auf den Burgvogt. Dieser brach sich bald darauf das Genick und muss seither als Burggeist umgehen, der die ganze Gegend mit seinen Spukereien beunruhigt. Die Äbtissin von Arnptenhausen reiste einmal nach Öhningen, um das zu ihrem Kloster gehörige Weingut zu besichtigen. Als sie am Hohenkrähen vorbeifuhr, drehten sich auf einmal die Räder ihres Wagens nicht mehr. Äußerlich war alles in Ordnung. Man vermutete daher gleich, der Popele habe seine Hand im Spiel. Wohl wusste die Äbtissin, dass ein kräftiges Fluchen gegen den Zauber des Geistes helfe, aber die fromme Frau hatte ihrem Kutscher verboten, während der Fahrt zu schelten. Doch es war an kein Weiterkommen zu denken. In ihrer Verzweiflung rief sie dem Kutscher zu: "Nu, Seppele, so fluch halt mal in Gott's Namen!" Das tat der Kutscher denn auch kräftig, und augenblicklich lief der Wagen weiter. Jeden Sonntag, nachts um zwölf Uhr, kommt der Popele in einem unterirdischen Gewölbe der Burg Hohenkrähen mit vielen Rittern zusammen, um zu kegeln. Die Kegel wie die Kugeln sind aus reinem Gold. Auch am Sonntagmorgen während des Gottesdienstes hat man den Popele schon beim Kegeln beobachtet. Einst sahen ihn um diese Zeit zwei Handwerksburschen im Burggraben Kegel schieben. Als der gespenstische Vogt die Burschen bemerkte, lud er sie zum Spiel ein, und diese weigerten sich nicht lange. Anfangs gewannen sie auch einige Gulden, dann aber verspielten sie den ganzen Gewinn und ihr Reisegeld dazu bis auf den letzten Kreuzer. Ärgerlich zogen die Burschen weiter. Unterwegs entdeckte der eine von ihnen eine Kegelkugel in seinem Felleisen, hielt es aber für eine Neckerei seines Kameraden und warf die Kugel weg. Die beiden Burschen kamen bald darauf ins Dorf Mühlhausen am Mägdeberg. Indes der zweite seinen Ranzen abnahm, staunte er nicht wenig, als er obendrauf einen Kegel aus lauterem Golde sah. Gleich wollte er diesen Schatz zu Geld machen, aber niemand im Dorf konnte den kostbaren Kegel bezahlen. Endlich ließ sich einer ein Stück für zweitausend Gulden absägen. Den Rest des Kegels nahm der Handwerksbursche mit nach Schaffhausen und löste dort viele tausend Gulden dafür ein. Voller Neid suchte nun der andere Handwerksbursche nach der weggeworfenen Kugel, aber er konnte sie nirgends mehr finden. - Wenn man seitdem den Popele kegeln sah, hatte immer nur acht Kegel und eine einzige Kugel. Ein Müller aus Radolfzell fuhr einst vom Möhringer Fruchtmarkt heim. Da kam unter der Burg Hohenkrähen ein schlechtgekleideter Wanderer und bat den Müller, ihn bis Singen mitzunehmen. Der Fuhrmann hatte nichts dagegen. Kurz vor Singen musste der Müller absteigen, da erschrak er aber nicht wenig, als er merkte, wie sein Geldgurt, den er um den Leib trug, ganz leicht geworden war. Mit der unschuldigsten Miene sagte der Fremde: "Geht einmal zurück, vielleicht findet Ihr das Geld wieder." Wirklich, gleich hinter dem Wagen blinkte der erste Taler im Mondschein auf der Straße, einige Schritte weiter lag wieder einer, der letzte fand sich da, wo der Fremde eingestiegen war. Dieser war inzwischen lachend verschwunden. Jetzt merkte der Müller, dass er den Popele auf dem Wagen mitgenommen hatte. Glasträgern und Eierfrauen spielte der Popele oft übel mit. Er verwandelte sich in einen Stock oder Baumstumpf am Weg. Setzten sich die Leute drauf, um auszuruhen, so verschwand er. Die müden Wanderer aber fielen zu Boden, Gläser und Eier zerbrachen, und Popele lachte boshaft darüber. Dem Torwart von Radolfzell raubte er manchmal die Nachtruhe: er ahmte das Posthorn nach. Wenn dann der Torwart eilig aufstand, um das Stadttor zu öffnen, so verschwand der Popele lachend. Auch der Fischer von Moos wusste vom Popele zu erzählen. In dunklen Nächten hörte er oft rufen: "Hol, Hol", und eilte an die Fähre, weil er meinte, es wolle jemand von dem andern Ufer übersetzen; aber wenn er dann hinkam, war das Schifflein losgebunden, und die Ruder lagen im Wasser. Wenn der Fischer im See bei Nachtzeit seine letzten Netze setzte, so patschte es, als wären die Fische haufenweise im Garn. Sobald er jedoch zur Stelle eilte, fand er die Netze zerrissen, und im Nachtwind erschallte ein schelmisches Gelächter. Jedes Mal aber folgte auf einen solchen Spuk ein Unwetter. In Hohenkrähen war einmal eine Magd, die stets beim Melken von der Milch trank. Dabei bekam sie von der unsichtbaren Hand Popeles immer Ohrfeigen. Deshalb kündigte sie ihrer Herrschaft den Dienst auf. Den Grund des Austrittes wollte sie dem Hausherrn freilich nicht nennen. Endlich erklärte sie, sie wolle sich beim Melken nicht länger schlagen lassen. "Dann musst du etwas Unrechtes getan haben", meinte der Herr, "sonst hättest du keine Schläge bekommen." Die Magd gestand schließlich ihre Schuld und wurde ermahnt, das Milchtrinken in Zukunft zu unterlassen. Das tat sie und hat seitdem keine Ohrfeigen mehr bekommen. Manchen Hegäuern zeigte sich der Popele auch wieder sehr gefällig. Vor allem den Leuten auf dem Bruderhof war er sehr nützlich: er tat alles, was ihm aufgetragen wurde, holte Wasser und Holz in die Küche, warf Stroh und Heu vom Boden herunter, fütterte das Vieh, putzte die Pferde, wendete den Dreschern die Garben um und langte zu, wo es fehlte. Bei jedem Auftrag aber musste man sagen: It z,litzel und it z,viel (nicht zuwenig und nicht zuviel), sonst warf er alles Heu vom Boden und schleppte alles vorrätige Holz in die Küche. Zum Lohn für seine Dienste aber musste man für ihn alle Tage mitdecken, ihm einen besonderen Teller hinstellen und sagen: "Popele, iss auch mit!" Vergaß man den Spruch, so warf er das Gedeck und alle Speisen durcheinander, band das Vieh im Stall los und trieb allerlei Unfug. Ebenso musste man ihn einladen, wenn man ausfahren wollte: "Popele, fahr auch mit!" Dann setzte er sich hinten auf das hervorstehende Wagenbrett, die "Schnättere", und fuhr mit ins Feld. Wurde er nicht eingeladen, so ges chah dem Fuhrwerk gewiss ein Unglück. Nach dem Backen musste man jedes Mal dem ersten Bettler, der ins Haus kam, einen ganzen Laib Brot geben, sonst holte der Popele das übrige Brot und brachte die Küche in Unordnung. Solche Geschichten weiß man vom Popele in Hohenkrähen in Unzahl aus alter Zeit zu erzählen. Wer aber glaubt, dass der spukende Burgvogt auch heute noch sein Unwesen treibe, dem muss gesagt werden, dass der Popele sich schon lange nicht mehr sehen ließ.

 

DER RIESE ROMEIAS VON VILLINGEN

 

Vor mehr als fünfhundert Jahren lebte in Villingen im Schwarzwald ein Mann von riesenhafter Größe und Stärke namens Romeias, dessen Eltern durchaus nicht über das gewöhnliche Menschenmaß reichten. Wenn Romeias durch die Stadt schritt, konnte er in den zweiten Stock der Häuser sehen. Die drei langen Pfauenfedern, die er auf dem Hut trug, ließen ihn noch größer erscheinen. Eines Tages hatte Romeias auf einen Wagen, der mit zwei Ochsen bespannt war, einige mächtige Baumstämme geladen. Die Ochsen konnten aber die schwere Last nicht fortbringen. Da hob er die Zugtiere zu den Stämmen auf den Wagen und zog das Gespann allein nach Hause. Die Villinger wählten den starken Romeias zum Anführer ihrer Bürgerwehr. In den zahlreichen Streitfällen, die seine Vaterstadt mit Hornberg und Rottweil auszufechten hatte, vollführte der Riese manch wackeren Streich und brachte ansehnliche Beute mit heim. Ein ganz besonderes Kraftstück, das ihm den Ehrennamen "Villinger Simson" verschaffte, vollbrachte Romeias in einem Streit mit den Rottweilern. Bei Nacht watete er durch den Stadtgraben und stand plötzlich mitten auf dem Marktplatz von Rottweil. Die Rottweiler, die den riesigen Streiter schon lange gern gefangengenommen hätten, schlossen sogleich die Stadttore und dachten, nun hätten sie ihn. Romeias aber schritt seelenruhig auf eines der Tore zu, hob dessen Flügel aus den Angeln, nahm den einen auf die Achsel, steckte den andern durch ein Astloch an den Zeigefinger und machte sich damit auf den Heimweg nach Villingen. Dreiviertel Stunden vor Rottweils Toren und Mauern hielt er auf einem Hügel Umschau. Dieser führt heute noch den Namen Guckenbühl. Weit und breit war kein Verfolger zu sehen. Romeias brachte die beiden Torflügel ungehindert nach Villingen, wo man sie zum Andenken an seine Heldentat an dem neuerbauten oberen Turm anbrachte. Ebenso groß wie die Stärke des Romeias war auch sein Hunger. Einst betrat er eine Stube, in der sich gerade niemand befand, wo aber das Essen für sieben Personen auf dem Tisch stand. Sofort machte sich der Riese über das Mahl und aß alles auf. Als die Leute dann zum Essen erschienen, fragte er, ob nicht bald die weiteren Gänge aufgetragen würden. Schließlich benahm sich Romeias sogar gegen die eigene Obrigkeit ungebührlich. Da sich niemand offen an ihn heranwagen wollte, ersann der Stadtrat eine List, um ihn gefangen zu nehmen. Der Bürgermeister gab dem Riesen den Auftrag, eine schwere eiserne Truhe aus dem tiefen Verließ des Diebsturmes heraufzuschaffen, und versprach ihm dafür eine gute Belohnung. Arglos stieg Romeias hinab. Kaum aber hatte er sich von der Leiter entfernt, da zog sie einer der Stadtknechte schnell herauf und schloß den starken Mann damit in den Turm ein, der seitdem Romeiasturm genannt wird. Zur Ernährung des Riesen wurde täglich ein Kalb oder ein Schaf in das Verließ geworfen. Romeias sammelte die abgenagten Knochen, und als er genug beisammen hatte, steckte er sie in die Ritzen und Löcher der Mauer, stieg an ihnen wie auf einer Treppe hinauf, durchbrach die Balkendecke und gelangte bis unter das Dach des Turmes. Dort fand er eine Menge Stroh, drehte daraus ein starkes Seil und ließ sich bei Nacht daran auf die Ringmauer herab. Von hier aus gelang es ihm in der folgenden Nacht, während eines Gewitters aus der Stadt zu entkommen. Romeias begab sich geradewegs vor das befestigte Schloss Busenberg und belagerte es allein so lange, bis es sich ihm ergab. Darauf nahmen ihn die Villinger wieder in Gnaden auf und gewährten ihm bis zu seinem Tode den nötigen Lebensunterhalt. Sein lebensgroßes Bild wurde später an der Mauer am oberen Tor angebracht.

 

DER SCHMIED VON HECHELBACH

 

Der Schmied von Hechelbach war sein Leben lang ein heiterer Geselle und steckte stets voller Listen und Schalkheiten. Er trank auch oft über den Durst und vollführte dann manchmal dumme Streiche. Da geschah es, dass er starb und im Jenseits an die Himmelspforte klopfte. "Wer bist du?" fragte Petrus, der Himmelspförtner. "Ich bin der Schmied von Hechelbach und bitte um Einlass in den Himmel." Da schlug Petrus das große Buch auf, in dem alle Taten der Menschen verzeichnet stehen, und las nach. Aber je länger er las, desto unwilliger schüttelte er den Kopf und sprach zuletzt: "Fort mit dir! Für Leute deines Schlages gibt es im Himmel keinen Platz." Doch der Schmied von Hechelbach war keiner von denen, die sich so leicht abweisen lassen, und darum hatte er auch hier sogleich eine List zur Hand. Er stellte sich recht einfältig, gab dem Heiligen freundliche Worte und fragte zuletzt, ob er nicht wenigstens für die guten Handlungen, die er in seinem Leben vollbracht habe, einen Augenblick durch den Türspalt in den Himmel hineinblicken dürfe. Weil der Schmied gar so inständig flehte, wollte Petrus nicht verschlossen bleiben und gestattete es. Kaum aber hatte er die Tür ein wenig geöffnet, so warf der Schmied flink sein Käpplein durch den Türspalt in den Himmelssaal hinein, stellte sich aber so, als wäre es ihm unversehens und vor lauter Staunen über die himmlische Pracht entfallen. Darüber fing er nun zu jammern an und bat, ob er es nicht schnell wieder herausholen dürfe. Petrus erlaubte es ihm. Sobald aber der schlaue Schmied zur Tür hineingeschlüpft war, setzte er sich im Himmelssaal auf sein Kapplein und sprach: "Jetzt sitz i auf meinem Gurt, will seah, wer weg mi duet." Im Himmel gibt es nun weder Streit noch Zank, auch keine Gewalttätigkeit. Weil man aber ohne solche den Schmied nicht mehr hätte herausbringen können, und da er auch wirklich auf seinem Eigentum saß, so konnte Petrus nichts anderes tun, als über den schlauen Schmied lachen und ihn auf seinem Platze lassen. So also ist der Schmied von Hechelbach doch in den Himmel gekommen.

 

DIE GLOCKE VON WUNNENSTEIN

 

Auf dem Wunnenstein stand voreinst eine Kapelle, die dem heiligen Michael geweiht war. Im Turm der Kapelle hing eine mächtige Glocke. Sooft Hagelschlag oder Ungewitter die Gegend bedrohten, brachten die umwohnenden Landleute die Glocke zum Schwingen, und ihr tönender Klang schützte die Menschen vor Not und Tod. Davon hörten die Heilbronner und hätten daher die Glocke gern an sich gebracht und auf den Turm von St. Kilian gehängt. Die Stiftsdamen von Oberstenfeld, denen damals der Wunnenstein gehörte, verkauften ihnen endlich die Glocke um schweres Geld. Die Leute in den Dörfern rings um den Berg waren betrübt, als sie davon hörten; die von Heilbronn aber zogen hochbeglückt über ihren Kauf mit der Glocke von dannen. Aber wie erstaunten sie, als die Glocke stumm blieb, da der Mesner von St. Kilian sie zum erstenmal läuten wollte. Man ließ Geisterbanner kommen, sang und betete; aber es half alles nichts. Die Glocke blieb stumm. Da gerieten der Rat und die Bürgerschaft von Heilbronn in Furcht und Schrecken; einhellig beschlossen sie, die Glocke so schnell als möglich aus der Stadt hinaus und an ihren alten Ort zu bringen. Aber die Glocke war schwer, zwölf Pferde brachten sie kaum vom Fleck. Nun begegnete dem Zug der Heilbronner ein Bauersmann von Winzerhausen. Der freute sich ganz unbändig, als er die geliebte Glocke wieder zu Gesicht bekam, und erbot sich, sie den Städtern abzunehmen und auf den Berg zu führen. Und siehe, das ging so leicht, dass er sie mit seinen zwei Ochsen ganz ohne Mühe den Berg hinaufbrachte. Alles Volk aber war des Jubels voll, als die Glocke dann auf ihrem Turme hing und sie des Schutzes vor Wetternot und Sturmesunbill wieder sicher waren.

 

DIE HEXENVERSAMMLUNG BEI ZAVELSTEIN

 

Zwei Musikanten aus Zavelstein spielten einmal in einem benachbarten Orte auf der Kirchweih und begaben sich nachts noch vor zwölf Uhr auf den Heimweg. Da begegneten ihnen zwei Reiter und forderten sie auf, sie sollten doch mit ihnen gehen. Das taten sie auch. Nicht lange darauf kamen sie in ein vornehmes Wirtshaus, wo Herren und Damen aus goldenen Bechern tranken. Die Spielleute bekamen gleichfalls wohlgefüllte goldene Becher vorgesetzt und mußten dann aufspielen, wozu die ganze Gesellschaft tanzte. Als die Musikanten endlich müde wurden, sagten sie heimlich zueinander: "Wenn wir für unser Spielen nur einen einzigen solchen Becher bekämen!" Heimlich schob jeder bei günstiger Gelegenheit einen Becher in die Tasche. Bald darauf übermannte sie der Schlaf, und sie legten sich in einer Ecke des Zimmers zur Ruhe. Als sie am andern Morgen erwachten, lagen alle oben am Hügel unter dem Galgen bei Weilerstadt. Anstatt der Becher aber hatte jeder den Huf eines Ochsen in der Tasche. Da erkannten die Spielleute, dass sie einer Hexenversammlung aufgespielt hatten, zerschlugen aus Ärger ihre Geigen und haben seit der Zeit nie und nimmer wieder aufspielen wollen.

 

DIE WALLFAHRT ZWEIER SCHWABEN NACH COMPOSTELLA

 

Zwei Schwaben, Vater und Sohn, machten sich einst auf, um das Grab des heiligen Jakonus in Compostella, Spanien, aufzusuchen. Sie waren gegen die Unbill des Wetters ausgestattet, wie es für Jakobsbrüder üblich war. Nach langer Wanderung kamen sie endlich in das St.-Jakobs-Münster. In der Stadt fanden sie bei einem Wirt Herberge. In ihrer Meinung, die fromme Einfalt, die ihnen aus ihrer Heimat etwas Selbstverständliches war, sei überall zu finden, vor allem in einer so frommen Stadt, sollten sie sich gründlich täuschen. Der Wirt war sehr freundlich, so dass sie volles Vertrauen zu ihm hatten. In ihrer Harmlosigkeit zählten sie in seiner Gegenwart ihr Reisegeld. Den Wirt aber lockten die Gold- und Silbermünzen, und er sann nach, wie er sie an sich bringen könnte. Die Wallfahrtszeit war um, und die zwei Schwaben machten sich auf den Heimweg. Sie waren noch nicht weit von Compostella entfernt, da wurden sie von bewaffneten Reitern angehalten. Unter ihnen war auch ihr Gastwirt, die andern waren Polizisten. Man warf den Wallfahrern vor, sie hätten dem Wirt einen goldenen Becher gestohlen, und durchsuchte ihr Gepäck. Tatsächlich fand sich der goldene Becher im Ranzen des Vaters. Die Schwaben wurden nach Compostella zurückgebracht und vor Gericht gestellt. Der Vater wurde zum Tod verurteilt. Doch der Sohn bat den Richter, an Stelle seines Vaters gehenkt zu werden; denn ohne den Vater gerate die Familie in größtes Elend. Nach langer Beratung nahm der Richter das Anerbieten des Sohnes an: die Strafe wurde vollzogen. Traurig trat der Vater den Heimweg an, der ihn am Galgen vorbeiführte. Noch einmal schaute er zu seinem jugendlichen Sohn hinauf. Siehe, dieser lebte noch. Vater und Sohn konnten miteinander reden und sprachen die Hoffnung aus, Gott werde auf die Fürbitte des heiligen Jakobus ihnen doch noch helfen. Eilends lief der Vater zum Richter. Als er mit diesem am Wirtshaus vorbeikam, wo beide gewohnt hatten, betraten sie, einer inneren Stimme folgend, die Schenke; der Wirt saß gerade wohlgefällig beim Essen. Vor ihm stand der goldene Becher mit Wein, auf einer Platte lagen gebratene Tauben. Als der Schwabe erzählte, dass er soeben beobachtet habe, sein Sohn lebe noch, lachte der Wirt laut und meinte: "Du Narr, dein Sohn lebt so wenig, als diese Tauben hier fliegen können." Im selben Augenblick flogen die gebratenen Tauben von der Platte weg in die Höhe und zum Fenster hinaus. Nun war auch der Richter von der Unschuld der beiden Schwaben überzeugt. Er ließ sofort den Sohn vom Galgen herunterholen. Der Wirt aber wurde vor Gericht gestellt, für schuldig befunden und zur gleichen Strafe verurteilt. Vater und Sohn dankten Gott und dem heiligen Jakobus für ihre Hilfe und machten sich auf den Heimweg. Zu Hause ließen sie den ganzen Vorgang in zwanzig Einzelbildern auf eine große Wandtafel malen. Diese ist, wenn auch ziemlich beschädigt, in der Kirche "Maria unter der Ecke", nicht weit von Peutingen, heute noch erhalten.

 

DIE WURMLINGER KAPELLE

 

Graf Anselm von Kalw hatte angeordnet, dass man ihn, sobald er gestorben sei, in seinem Sarge von zwei "ungewohnten Ochsen", die noch nie einen Wagen gezogen hätten, sollte fortfahren lassen, und zwar ohne Kutscher. Wo die Ochsen dann stillstünden, dort solle man eine Kapelle bauen und alljährlich den Stiftungstag durch eine heilige Messe und durch ein großes Festessen, das er selbst genau vorgeschrieben hatte, feiern. Dieses Fest wurde später stets am Dienstag nach der großen Kirchweih abgehalten. Der letzte Wille des Grafen wurde genau vollführt. Zwei junge Ochsen fuhren allein mit seiner Leiche von Kalw ab und standen erst auf dem jetzigen Remigiusberge bei Wurmlingen still. Dort wurde dem heiligen Remigius zu Ehren eine Kapelle erbaut, die zwar im Dreißigjährigen Kriege von den Schweden niedergebrannt, später aber wieder hergestellt wurde. Heute ist sie allgemein bekannt durch das Gedicht von Uhland: "Drohen stehet die Kapelle." Auf dem Heimenstein im Neidlinger Tal hauste einst der Riese Heim. Als er eines Morgens aufgewacht war und sein zottiges Haupt zur Höhle hinausstreckte, bekam er plötzlich Lust, auf einem Felsen auf der anderen Talseite ein Schloss zu erbauen. Mit einem einzigen Riesenschritt erreichte er den Felsen an der gegenüberliegenden Talwand. Von dort aus rief er mit dröhnender Stimme ins Tal hinab: "Ihr Menschenzwerglein, wer von euch arbeiten will, der soll zu mir heraufkommen und mir mein Schloss bauen helfen!" Da erschienen Maurer und Zimmerleute, Steinhauer und Schlosser und nahmen die Arbeit freudig auf. Denn der Riese hatte Gold in Fülle und versprach reichlichen Lohn. Bald stand das Schloss fertig da und schaute stolz vom Reußenstein ins Tal hinab. Bald zeigte sich auch der Riese und beschaute das Werk. Alles war in schönster Ordnung, es gefiel ihm über die Maßen. Nur außen am obersten Fenster im höchsten Turm fehlte noch ein Nagel. Unwillig erklärte er: "Keiner soll seinen Lohn bekommen, ehe der letzte Nagel eingeschlagen ist." Aber niemand wagte es, die schwindelnde Höhe zu erklimmen und den Nagel einzuschlagen. Schließlich versprach der Riese dem Mann, der dies wage, noch besonders reichen Lohn. Da war ein armer junger Schlossergesell aus Neidlingen, der liebte heimlich seines Meisters Tochter. Der Meister wollte sie ihm aber nicht geben, weil ihm der Junge nicht vermögend genug war. Darob brach diesem schier das Herz, und das Leben war ihm verleidet. Da dachte er: "Du solltest doch den Nagel einschlagen, vielleicht gelingt es dir; stürzest du hinab, nun dann ist dein Herzeleid vorüber." So meldete sich der Schlosser bei dem Riesen. Als dieser den mutigen Burschen auf den Turm steigen und ans Fenster treten sah, um hinauszusteigen und den Nagel einzuschlagen, hatte der Riese seine herzliche Freude an ihm, packte den Gesellen fest beim Genick und hielt ihn mit Riesenkraft in die Luft hinaus, so dass der Bursche die Hände frei hatte und unbehindert arbeiten konnte. Als das Werk getan war, lobte der Riese den wagemutigen Gesellen: "Zwerg, das hast du brav gemacht!" und beschenkte ihn reichlich, so dass er nunmehr um seines Meisters Tochter werben konnte und sie zur Frau bekam.

 

DIE GOLDENE WINDFAHNE AUF DER GUESSENBURG BEI GIENGEN

 

Nicht weit von Giengen, der einst reichsfreien, jetzt württembergischen Landstadt, erheben sich auf einem Hügel die Trümmerhaufen der Güssenburg, deren dreizehn Schuh dicke Mauern noch heute von ihrer einstigen Stärke zeugen. Besonders im Glanze der Abendsonne sind die Reste der Burg gar malerisch anzusehen. Herr dieser Zwingstätte war im fünfzehnten Jahrhundert Hans Güß von Güssenburg, im Volke ,Mordhans, genannt, und wie dieser Beiname sagt, ein böser und gefährlicher Kumpan. Seine größte Freude war, Kaufleute und Reisende, die ihr Weg an der Burg vorbeiführte, zu überfallen, auszuplündern und gefangen in sein Raubnest zu schleppen. Nur gegen bedeutendes Lösegeld öffnete sich ihnen die Tür des Kerkers wieder, wenn sie dem Ungemach der Gefangenschaft nicht vorher erlegen waren. Die benachbarten Handelsstädte gaben sich alle Mühe, den Bösewicht in ihre Gewalt zu bekommen; doch vergeblich. Zwar war es den Ulmern schon einmal gelungen, ihn gefangenzunehmen, aber der Burgvogt von Güssenburg schickte den Kopf eines zugleich mit mehreren andern Ulmern gefangenen Kaufmannes in die Reichsstadt und ließ dem Rat kundtun, wenn sein Herr nicht binnen achtundvierzig Stunden frisch und gesund auf der Burg eintreffe, werde er alle übrigen Gefangenen töten lassen. Diese Drohung wirkte, und bevor noch die Frist verstrichen war, stellte sich der Mordhans wieder in seinem Schlosse ein und preßte aus den Gefangenen eine solche Summe Geldes heraus, dass er davon auf einem Zinnentürmchen des Schlosses eine Windfahne von lauterem Gold, einen Drachen vorstellend, anbringen konnte. Ungewarnt und ungebessert setzte er sein ruchloses Treiben fort und achtete nicht der ewigen Wahrheit, dass jegliches irdische Tun seinen Zielpunkt hat, wo es heißt: Bis hierher und nicht weiter! Die Güssenburg war den Lauingern eine recht verdrießliche Nachbarschaft, und die Bürger dieser Stadt knüpften mit den Ulmern und andern insgeheim Unterhandlungen an, das Raubnest zu zerstören. Besonders tätig war bei diesem Unternehmen ein Lauinger, um seiner Profession willen der Schlosserpeter genannt, der lange im Felde gedient hatte und im Gebrauch der eben erst aufkommenden Artillerie und in der Verfertigung von allerlei Waffen und Kriegsmaschinen sehr erfahren war. Der Schlosser stellte eine Maschine her, die er mit feinstem Schießpulver füllte. Damit, schwur er, könne man das ganze Tor der Güssenburg, und wenn es auch noch zehnmal stärkere Eichenbohlen hätte und aus noch mehr Eisen bestünde, gleich einem Garbenbündel über den Haufen werfen. Seinem oft bewährten Wort vertrauend und lüstern nach der im Schloss erhofften Beute, schlossen sich viele Städter ihm an. Und am Vorabend des Tages St. Johannes des Täufers im Jahre 1448 zogen die Bürger von Lauingen zu ihrem Unternehmen aus. Hinter ihnen wurden, damit niemand die bedrohte Burg warnen könnte, die Stadttore geschlossen, und kein Mensch durfte mehr hinausgelassen werden. Auf den Abend folgte eine regnerische, stürmische Nacht; außer der aufgestellten Hochwacht lag auf der bedrohten Burg alles im Schlaf. Den Lauingern war es gelungen, den Burgberg zu ersteigen; an die Mauern der Feste gedrückt, harrten sie der Öffnung des Eingangs, um Brand und Mord hineinzutragen. Behutsam arbeitete der Schlosserpeter an dem Tor, und die Horcher glaubten, das Geräusch von Schrauben zu vernehmen. Es war schon Mitternacht vorüber, als er endlich mit seiner Arbeit fertig war, hinter den Vorsprung der Mauer eilte und den Wartenden zuflüsterte: "Jetzt gilt's, seid bereit!" Zugleich hörte man ein Geräusch wie von einer ablaufenden Weckeruhr, dann flammte auf einmal eine hellaufblitzende Feuerlohe empor und mit einem gewaltigen Krach flogen die beiden riesigen Torflügel zersplitternd aus ihren Angeln, die Bürger aber stürmten voll Blut- und Beutelust durch die gähnende Öffnung in den Burghofhinein. Sie trafen auf wenig Widerstand, denn die furchtbare Explosion und der unvermutete Überfall hatten alle ihre Bewohner außer sich gebracht. Da die Burg schnell an allen vier Ecken in Brand gesteckt wurde, war das Schreckensschauspiel bald ausgespielt. Weit durch das Brenztal hin verkündeten die auflodernden Türme der Feste Fall und Zerstörung. Der Mordhans war, als er im Hemd, mit einem Streitkolben bewaffnet, auf dem Burghof erschien, gleich im Anfang des Kampfes erschlagen worden, die meisten seiner Leute hatten sich geflüchtet. Als die schwer mit Beute beladenen Bürger sich zum Abzug bereitmachten, fehlte der Schlosser. Er erschien erst spät, nachdem er mehrmals in Gefahr gewesen war, von stürzenden Balken erschlagen zu werden oder im Rauch zu ersticken. Auf seiner Schulter trug er stolz die goldene Windfahne, die er von ihrem Standort heruntergeholt hatte. Mehrere Bürger waren verwundet worden, doch nur ein Mann hatte den Tod gefunden, ein Handwerksgeselle aus einem fernen Ort, um den sich niemand kümmerte. Unter den entflohenen Burgbewohnern befanden sich auch die beiden Töchter des Mordhans, die später jedes Jahr nach der Stätte der elterlichen Heimat wallten und des Vaters Tod und die Zerstörung der Burg bejammerten. Man will gesehen haben, dass sie als Gespenster noch immer in der Nacht vor dem St.-Johannis-Tag in den Ruinen umherwandeln. Dort hat man auch häufig Pfeilspitzen, Nägel und anderes verrostetes Eisenzeug gefunden; drei bis fünf Meter hoch ist der Boden mit Brandtrümmern bedeckt. Die noch stehenden Mauerreste sind zum Teil aus rotem Marmor erbaut, was merkwürdig ist, da es heutzutage in dieser Gegend keinen Marmorbruch mehr gibt. Der Schlosserpeter hätte seine wertvolle Beute oft verkaufen können, aber er erklärte immer: "Nach meinem Tode will ich's dem vermachen, der mir im Leben der liebste war." Und jedermann schmeichelte ihm nun in der Hoffnung, das wertvolle Kleinod zu erben. Doch als er endlich hochbetagt starb, da fand man in seinem Testamente die Widmung, die goldene Windfahne schenke er der Stadt, sie möge diese auf den eben vollendeten Stadtturm hissen lassen. Wenn man jedoch um des edlen Metalls willen Bedenken trage, die Fahne der Unbill des Wetters auszusetzen, so habe er eine gleiche Windfahne aus Messing eigener Erfindung verfertigt, die von dem Originale kaum zu unterscheiden sei. Eine dieser Windfahnen wurde auf den Turm aufgezogen, ob es aber die echte oder die aus Messing war, konnte man nie erfahren.

 

DIE SCHOENE MELUSINE UND DAS SCHLOSS STAUFENBERG

 

Im Schloss Staufenberg unweit des Weinortes Durbach wohnte einst ein Amtmann, dessen Sohn Sebald Vogelsteller war. Als der Jüngling wieder einmal im Stollenberger Wald seine Liebhaberei betrieb, hörte er einen lieblichen Gesang. Er ging bergauf den klangvollen Tönen nach. Da erblickte er im Gebüsch ein wunderschönes Weib. Flehend schaute es den herantretenden Jüngling an und rief: "Schon lange harre ich deiner. Ich bin verwünscht. Erbarme dich meiner und erlöse mich! Du brauchst mich nur dreimal dreifach zu küssen, dann bin ich erlöst." Auf Sebalds Frage, wer sie sei, antwortete die Waldfrau: "Ich heiße Melusine und habe einen großen Brautschatz. Wenn du mich erlöst, bin ich mit meinem Schatze dein. Du musst mich drei Morgen hintereinander, früh um neun Uhr, auf beide Wangen und den Mund küssen. Dann ist die Erlösung vollbracht. Fürchte dich nicht, besonders nicht am dritten Tag!" Melusine trat dann aus dem Busch hervor, und Sebald konnte sie genau betrachten. Sie war sehr schön, blond und hatte blaue Augen, aber keine Finger. Statt ihrer sah man eine trichterförmige Höhlung und an Stelle der Beine Fischschwänze. Sebald gab ihr zunächst die ersten drei Küsse. Darüber war Melusine sehr erfreut und bat ihn, am zweiten und dritten Tag ganz bestimmt wiederzukommen. Dann kroch sie in ihren Busch zurück und sang: Kommt und erlose deine Braut, Hüte dich wohl zu erschrecken! Sebald, nimm dich wohl in acht! Einmal war es recht gemacht. Nun verschwand sie, Sebald ging heim, sagte aber nichts von seinem Erlebnis. Am andern Morgen eilte er in den Stollenberger Wald; Melusine sang wie tags zuvor, und er näherte sich ihr. Diesmal hatte sie jedoch Flügel und einen Drachenschweif. Trotzdem trat er furchtlos auf sie zu und küßte sie dreimal. Sie bedankte sich wieder wie am ersten Tag und versank in die Erde. Am dritten Tag hatte sie einen scheußlichen Krötenkopf, und ein Drachenschwanz umschlang furchtbar ihren Leib. Da erfaßte Sebald ein Grauen vor dem giftdräuenden Ungeheuer, und er rief abwehrend: "Kannst du dein menschliches Antlitz nicht entblößen, so kann ich dich nicht küssen." "Nein!" rief Melusine und streckte mit lautem Schrei ihre Arme nach ihm aus. Da floh Sebald, von Entsetzen gepackt, den Berg hinunter. Atemlos kam er bei seinem Vater in der Burg an. Als er nun sein Erlebnis erzählte, wurde er vom Vater wegen seiner Furchtsamkeit gescholten. Zwei Jahre vergingen. Sebald suchte den Stollenberger Wald nicht mehr auf, denn er fürchtete die Rache der von ihm betrogenen Waldfrau. Auf Wunsch seines Vaters heiratete er die Tochter eines Amtsvogtes. Die Hochzeit wurde im Schloss Staufenberg abgehalten. Als aber die Gesellschaft fröhlich beim Schmause saß, spaltete sich die Decke des Saales, und ein Tropfen fiel auf Sebalds Teller. Sebald aber hatte es nicht bemerkt und aß weiter. Da fiel er plötzlich tot nieder. Zu gleicher Zeit zog sich ein kleiner Schlangenschwanz in die Decke zurück. So rächte sich die verzauberte Melusine an dem Mann, der ihre Hoffnung auf Erlösung enttäuscht hatte.

 

HEXENTANZ AUF DEM HEUBERG IN DER SCHWAEBISCHEN ALB

 

Auf dem Heuberger Buckel ist es nicht geheuer. Dort war eins ein uralter Tanzplatz der Hexen, wo sie jeweils in der Freitagnacht reitend zusammnenkamen. Gastgeberin war das "Heuberger Hexle", eine kleine Person mit gewaltigem Kopf, die alle Hexenkünste beherrschte : Wetterbrauen und Viehschlagen, Abwesende prügeln und Wahrsagen. Einmal hörte ein Seebronner auf seinem nächtlichen Heimweg von Rottenburg schöne Musik auf dem Heuberger Turm. Verwundert stieg er hinauf. Im Innern des alten Gemäuers, in dem sonst nur Spinnen von Balken zu Balken ihre Netze webten, prangte ein herrlicher Saal; um köstlich gedeckte Tafeln saß eine vornehme Gesellschaft, andere tanzten zum Klang fröhlicher Musik. Auch der Seebronner wurde gastlich bewirtet und mit Wein und erlesenen Speisen traktiert, die aber nicht gesalzen waren. Lange schaute er vergnügt dem ausgelassenen Treiben zu, bis ihm plötzlich sein Heimweh wieder einfiel. "O Jeses, iatz muaß i aber hoam!" rief er erschrocken. Kaum war ihm das Wort entfahren, da verschwand mit einem Schlag die ganze Herrlichkeit. Er selbst fand sich rittlings auf einem Balken sitzen; Leute, die auf seine Hilferufe herbeikamen, holten den Seebronner schließlich von seinem luftigen Sitz herunter.

 

KAESPERLE VON GOMARINGEN

 

Kaspar oder Käsperle war ein Vogt in Gomaringen und soll die Gemeinde um viele Ländereien betrogen haben. Deshalb musste er nach seinem Tode umgehen und spukte in einem Hause unweit des Dorfes. Dort ist er oftmals in seiner weißen Zipfelmütze mit weißen Strümpfen und Schnallenschuhen und mit der Pfeife im Mund gesehen worden. Er klopfte und polterte im ganzen Hause so arg, dass niemand mehr darin wohnen wollte und man es am Ende einem Schreiner umsonst überließ. Besonders unruhig zeigte er sich, als einmal die Frau des Schreiners ein Kind bekam. Er nahm ihr öfters das Kleine weg und trug es unters Bett, tat ihm aber nichts zuleide. Am ärgsten aber lärmte er um Weihnachten. Da sprang er in der Viehkrippe hin und her, dass die Kühe vor Angst brüllten, worüber er jedes Mal laut lachte. Ferner band er das Vieh verkehrt an, knüpfte zwei Rinder an einen Strick zusammen und trieb ähnlichen Unfug. Wenn er es zu toll machte, rief der Hausherr wohl: "Jetzt bist aber still!" Dann ging's eine Weile gut. Aber bald unternahm er aufs neue seine Streiche, zog den Knechten, die Futter schneiden wollten, das Heu und Stroh aus der Schneidlade (Strohstuhl), während sie das Messer wetzten, und tat ihnen einen Schabernack um den andern. Um die Jahreswende ging er auch aufs Feld und klopfte beständig an einem Markstein herum, den er wahrscheinlich versetzt hatte. Auch führte er eine große Schnupftabaksdose bei sich, die wie grünes Moos aussah, und hielt sie den Leuten hin. Wollte aber jemand zulangen und eine Prise nehmen, so zog er sie schnell wieder zurück. Als das Haus schließlich abgebrochen und das Holz nach Gomaringen geführt wurde, spottete man über den Käsperle, der nun allein zurückbleiben müsse. Aber als der letzte Wagen mit Holz abfuhr, saß Käsperle obendrauf, wovon der Wagen so belastet wurde, dass er sich ganz bog, als ob er jeden Augenblick zusammenbrechen wollte. In Gomaringen wagte niemand, den Wagen abzuladen, bis der Geist fortgesprungen war. Sobald aber das Holz verbaut war, stellte sich auch Käsperle im neuen Hause ein und trieb darin sein Unwesen fort, bis sein Grab geöffnet und er unverwest darin gefunden wurde. Da begrub man ihn zum zweitenmal in Gomaringen. Seitdem ist er nicht mehr gesehen worden und wird nun gewiss erlöst sein.

 

KLOSTER ALLERHEILIGEN IM SCHWARZWALD

 

Am Lierbächlein im Schwarzwald sieht der Wanderer heute noch die Ruinen des Klosters Allerheiligen. Vor vielen Jahren war die fromme Stätte blühender Mittelpunkt jener Gegend. Mit dem Kloster war eine Schule verbunden, die weit und breit berühmt war. Einer der Schüler, ein Waisenknabe, stammte aus Straßburg. Seine Mutter hatte ihm vor ihrem Ableben einen Ring geschenkt, den ein funkelnder Rubin schmückte. Der Ring war dem jungen Menschen als Erinnerung an seine Mutter so teuer, dass er ihn immer bei sich trug. Eines Tages hatte sich der Jüngling beim täglichen Spaziergang etwas von seinen Kameraden entfernt und war zurückgeblieben. Als er seinen Mitschülern nacheilen wollte, traf er plötzlich auf ein junges Mädchen, es war dunkelhaarig und von freundlichem Aussehen. Überrascht blieb er stehen und plauderte mit ihm. Als er dann die Klosterschüler wieder eingeholt hatte, blieben seine Gedanken noch immer bei dem fremden, schönen Mädchen. Anderntags schaute er beim Spaziergang wieder nach der Jungfrau aus und traf sie auch wirklich. Täglich richtete es der Jüngling nun so ein, dass er das Mädchen sehen und mit ihm sprechen konnte. Eines Tages schenkte er ihr, um ihr eine Freude zu bereiten und seine Liebe zu bezeugen, den Ring, das teure Erbe seiner Mutter. Von dieser Stunde an trug ihn das Mädchen am Finger. Nach kurzer Zeit trafen sich die beiden wieder im Wald. Verstört berichtete das Mädchen dem Freund, dass ein großer Vogel ihr den Ring fortgetragen habe, als sie das Kleinod beim Händewaschen auf einen Felsblock niedergelegt hatte. Sie zeigte ihm auch das Nest des Vogels auf einer Tanne neben dem Lierbächlein. Sofort erbot sich der Klosterschüler, die Tanne zu erklettern und den Ring zu holen. Doch als er eben die Hand nach dem Nest ausstreckte. brach der Ast und der Jüngling stürzte herunter. Zerschmettert blieb er auf einem der Felsen im Lierbach liegen. Das Mädchen stieß einen fürchterlichen Schrei aus und rannte zum Kloster, um Hilfe zu holen. Die Mönche kamen, aber sie konnten den jungen Klosterschüler nur als Leiche ins Kloster zurücktragen. Wer aber an jener Stelle am Lierbächlein vorbeikommt, soll heute noch angsterfüllte Rufe und lautes Jammern vernehmen.